Bernd Hebgen

Bernd Hebgen

* 09.10.1944
† 11.01.2014 in Kaden
Erstellt von Stefanie Hebgen
Angelegt am 16.01.2014
7.033 Besuche

Kondolenzen (8)

Sie können das Kondolenzbuch nutzen, um den Angehörigen Ihr Beileid zu bekunden, Ihrer eigenen Trauer Ausdruck zu verleihen oder um dem Verstorbenen einige letzte Worte des Abschieds mitzugeben.

Kondolenz

DER WUNSCHZETTEL

24.12.2014 um 13:17 Uhr von ***

Der Wunschzettel

oder Die Weihnachten des Herrn K

© Nightwriter - Weihnachten 2002

Weihnachten steht vor der Tür. 'Wolln mers reilassa?' würde der Kölner Jäck fragen. Aber das ist gar nicht nötig.
Weihnachten kommt ganz von selbst herein. Durch den Briefschlitz. In Form von bunten, glitzernden Prospekten, die uns sagen, was sich die Menschen wünschen, die uns am Herzen liegen. Und natürlich was wir selbst noch kaufen müssen, um endlich glücklich zu sein. Solche Prospekte erreichten auch den Briefkasten des Herrn K. Herr K ist Rentner, und gilt allgemein als komischer Kauz. Seit seine Frau Anni vor zwei Jahren gestorben war, entwickelte er sich zudem noch zu einem recht stillen Menschen. Selten begann er ein Gespräch von sich aus. Da er aber immer freundlich und hilfsbereit war, mochten ihn die Leute. Eine seiner Eigenarten die niemand verstehen konnte war, dass ihm materielle Dinge wenig bedeuteten und er insgesamt sehr zufrieden war. Und das, obwohl er fast nichts von den Sachen, die zum Glücklichsein doch so notwendig sind, besaß. Natürlich schätzte er so manches, was das Leben angenehmer machte wie z.B. seinen vollautomatischen Korkenzieher, oder sein Weinthermometer. Ansonsten war Herr K ein bescheidener Mensch. Er konnte sich an Dingen erfreuen die andere gar nicht mehr beachteten, weil sie diese für selbstverständlich hielten.
Eines Abends im Dezember ging Herr K wieder einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er saß am Kamin und schlürfte ein Glas Rotwein. Heute waren nur drei Weihnachtsprospekte im Briefkasten. Da er nichts besseres zu tun hatte, sah er sie durch. Kaufen und sparen - stand auf einem. 'Toll, wie viel man sparen kann - wenn man nur genug Geld dafür ausgibt' dachte Herr K amüsiert. 'Und diese Gewinnspiele. Mit den phantasievollen Preisen. Ein Auto! Klasse, endlich mal was neues. Autos sind selten zu gewinnen.' gluckste Herr K und goss noch etwas Wein in sein Glas, das sich - von ihm gänzlich unbemerkt - geleert hatte. Doch dann sah er etwas, das nun wirklich neu war. Kein 'Sie haben bereits gewonnen'-Los, kein 'Sofort absenden und sparen'-Gutschein. Nein, es war ein Wunschzettel.
'Na endlich mal eine neue Idee. Hat doch glatt was' murmelte Herr K vor sich hin und sah sich das Ganze genauer an. Es begann ihn zu interessieren. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich auch dies als ein Gewinnspiel. Allerdings war kein fixer Gewinn vorgegeben. Mann durfte einen Wunschzettel ausfüllen und dem Gewinner wurden seine Wünsche erfüllt - bis zu einen Betrag von maximal 500.000 Euro - stand darauf. 'Hmm, schon komisch, das anscheinend alle Wünsche der Menschen immer mit Geld zu tun haben' wunderte sich Herr K. Er begann über sich und die Menschen nachzudenken. Vielen auf der Welt geht es schlecht. Natur- und Hungerkatastrophen, Verbrechen und Kriege überall. Er hingegen hatte alles, was er zum Leben brauchte und noch einiges mehr. Und die meisten Menschen in seinem Land hatten noch viel mehr als er. 'Was wollen wir denn NOCH mehr' fragte er sich und goss sich etwas von dem Wein nach, von dem man sagt, das in ihm die Wahrheit läge. Schon beim nächsten Schluck schoss ihm ein neuer Gedanke durch den Kopf: 'Aber natürlich' freute er sich 'Oh ja, ich werde bei diesem Gewinnspiel mitmachen. Ich werde diesen Wunschzettel ausfüllen.' beschloss er. Und dies war nun wirklich ungewöhnlich, weil Herr K nämlich die Konsumwelt im Allgemeinen und Preisausschreiben im Besonderen hasste. Aber hier wollte er mitspielen, weil er auf einmal ganz genau wusste, was er sich wirklich zu Weihnachten wünschte. Und genau dies würde er auf diesen Wunschzettel schreiben. Nicht MEHR von allem, nein - WENIGER wollte er. 
Und er begann den Zettel auszufüllen.
- WENIGER Kriege und Verbrechen
- WENIGER Kinder, die verhungern müssen
- WENIGER kleine Jungs, die in den Krieg geschickt werden
- WENIGER kleine Mädchen, die in Bordelle geschickt werden
Und weil dies etwas war, was er sich wirklich gern wünschte, fügte er noch folgenden Satz hinzu: 'Sollte ich gewinnen, möchte ich, dass der Gewinn ausschließlich zur Erfüllung dieser Wünsche verwendet wird'. Obwohl er davon ausging, nicht zu gewinnen (denn warum sollte er?) beschloss er, den Wunschzettel abzusenden. 'Viellicht ist es ja mal ganz gut, solche Wünsche auf die Reise zu schicken ' dachte er sich. Außerdem war das für ihn ein Spaß, es war, als ob er der Werbeindustrie (die er ganz und gar nicht mochte) einen Tritt verpasste. Was die wohl für Gesichter machen, wenn sie solche Wünsche lesen? Vermutlich würden sie ihn für verrückt erklären und den Zettel umgehend wegwerfen. Dieser Gedanke amüsierte Herrn K. Er schob den Wunschzettel in den adressierten Rückumschlag und ging schlafen. Wieder einmal sehr zufrieden mit sich. Ja - solche Dinge konnten ihn erfreuen. Viel mehr als ein gewonnenes Auto. Als er am nächsten Morgen zum Bäcker ging, um seine Frühstücksbrötchen zu holen, warf er den Umschlag in den Postkasten - und dachte von da an nicht mehr daran.
In der Marketing-Abteilung des Versandhauses 'Ziel' herrschte rege Geschäftigkeit. Herr Gustav, der Gründer und Hauptaktionär war persönlich anwesend. Die Auswertung des Preisausschreibens war abgeschlossen. 151258 der versandten Wunschzettel waren zurückgeschickt worden. 73 Hilfskräfte waren 11 Tage damit beschäftigt, die eingesandten Wünsche mit den dazugehörigen Adressen in eine speziell dafür angelegte Datenbank einzutippen. Denn dies war der eigentliche Zweck des Preisausschreibens: Festzustellen, was die Kunden für Wünsche haben, um sie dann ganz gezielt mit der entsprechenden Werbung zu versorgen. Das war Marketing. Natürlich war auch vorgesehen, den Gewinner werbewirksam zu vermarkten. Er sollte als Vorbild präsentiert werden.
Seine Wünsche sollten dann möglichst viele Leute anstreben und die dafür notwendigen Waren beim Ziel Versand kaufen.So war das Konzept der Marketingleute. 
Damit das Ganze auch funktioniert, darf man die Ermittlung des Gewinners natürlich nicht dem Zufall überlassen. Herr Gustav persönlich würde die Entscheidung treffen, wer durch das Los bestimmt werden sollte. Diese wollte er anhand der Wünsche des potentiellen Gewinners treffen. Um all die Wünsche der vielen Tausend Einsender zu sortieren, wurde eine spezielle Software entwickelt. Diese verglich alle Wünsche, die in die Datenbank eingegeben wurden, und sortierte sie danach, wie oft ein Wunsch geäußert wurde. Das Ergebnis war eine Tabelle, die auf nur 2 Din-A4 Seiten passte. Denn die meisten Wünsche glichen sich. So fantasievoll war die Kundschaft vom Ziel Versand nicht.
Natürlich wurden die zugehörigen Adressen pro Wunsch nicht ausgedruckt. Dies hätte ein Adressbuch ergeben, über das nur der Weihnachtsmann nicht erschrocken wäre.
Aber die Adressen waren natürlich im System gespeichert. Man konnte den Wunsch eingeben und erhielt dann alle zugehörigen Adressen am Bildschirm angezeigt. Und nun war es soweit. Die Tabelle wurde gerade ausgedruckt. An erster Stelle (61721 mal gewünscht) stand ein Eigenheim, dicht gefolgt vom zweiten Platz (58151 mal) Autos, der größte Teil hiervon Sportwagen. An dritter Stelle wünschten sie die Mitspieler eine Weltreise (10123mal). Danach kamen viele kleine Dinge wie Fernseher, Stereoanlage, Möbel und Haushaltsgeräte. Über dieses Ergebnis waren die Marketingleute ganz und gar nicht erstaunt. Ihre Berufserfahrung veranlasste sie, genau mit einem solchen zu rechnen. Herr Gustav las sich die Liste durch und überlegte, welchen Wunsch er gewinnen lassen wollte. Den würde er dann in den Computer eingeben und ein Zufallsgenerator würde aus allen Adressen, die diesen Wunsch geäußert hatten einen auslosen. 
Doch dann kam er zum Ende der Liste und traute seinen Augen nicht. 
Dort stand etwas, das für ihn keinen Sinn ergab. Nur ein Wort. Und dies lautete:WENIGER - 1. Die Eins stand dafür, wie oft der Wunsch geäußert wurde. In diesem Falle also nur einmal. War da etwa ein Fehler in der Auswertungssoftware? Herr Gustav sah sein EDV Team mit grimmiger Miene an und zeigte die Tabelle Herrn Ede V, dem Programmierer. Dieser las die letzte Zeile mit Verblüffung, ging aber gleich ans Terminal, um festzustellen, wo der Fehler lag. Er gab das Wort als Suchbegriff ein. Das Programm müsste dann den kompletten Wunschzettel inklusive des Absenders anzeigen. Nun standen alle vor dem Bildschirm, der jetzt folgendes anzeigte:

------------------------------------------------------------------------------
Teilnehmer Nr. 94029
Ede K
Sorglosallee 77
08150 Seinheim

geäußerte Wünsche:
- WENIGER Kriege und Verbrechen
- WENIGER Kinder, die verhungern müssen
- WENIGER kleine Jungs, die in den Krieg geschickt werden
- WENIGER kleine Mädchen, die in Bordelle geschickt werden

Bemerkung des Teilnehmers:
sollte ich gewinnen, möchte ich, das der Gewinn wirklich zur Erfüllung dieser Wünsche verwendet wird.

---------------------------------------------------------------------------------------
Eine kleine Unachtsamkeit des Programmierers, hatte zur Folge, das die Software nur das Wort WENIGER erkannte, da es groß geschrieben war. Der Rest der Zeilen wurde unterdrückt. Herr Gustav war sprachlos, der Programmierer froh, das es nur ein kleiner unbedeutender Softwarefehler war, und der Rest glotzte. 
'Ein Irrer' murmelte Herr Gustav. Alle stimmten ihm schnell zu. Ein Teil aus Überzeugung, ein Teil weil sie ihrem Chef immer zustimmen und die anderen um ihre eigene Verwirrung zu überspielen. Kein vernünftiger Mensch konnte sich so was wünschen. Nicht, wenn er dafür auf einen Gewinn von 500.000 Euro verzichten müsste. Die zwei Herren des Marketingteams sahen recht nachdenklich drein. 'Machen wir weiter' sagte der Chef und begann auf der Liste nach dem nächsten, geeigneten Wunsch zu suchen. 'Einen Moment. Dürfen wir einen Vorschlag machen?' sagten die Marketingleute gleichzeitig.
Vieles was sie sagten, sagten sie gleichzeitig, wie aus einem Mund. Das hatten sie mal für einen besonderen Werbegag eingeübt und nun war es ihnen zur Gewohnheit, zu ihrem Markenzeichen geworden. 'Also irgendwie sind die Beiden auch verrückt ' dachte sich Herr Gustav, war sich dabei allerdings bewusst, das sie bisher immer gute Ideen hatten. Ideen, die sich anfangs verrückt anhörten, auf lange Sicht jedoch sehr erfolgreich waren. Und schließlich kam es ja nur darauf an. 'Na, dann lassen sie mal hören meine Herren'. 'Gerne' kam es in Stereo zurück. Dann sprach einer weiter 'Wir meinen, dass genau diese Wünsche gewinnen sollen. Das wird der Ziel AG viel positive Publicity bringen.' Herr Gustav stellte sich die Frage, ob dies vielleicht das erste Mal sei, dass die beiden nun doch keine so gute Idee hatten. 'Kommt gar nicht in Frage. Haben sie vergessen, dass es Ziel des Preisausschreibens ist, bei unseren Kunden Wünsche zu wecken die unserem Warenangebot entsprechen? Wie sollen wir denn weniger Hunger, weniger Kriege und so fort verkaufen? Damit lässt sich kein Geschäft machen. Jedenfalls nicht für uns. Schließlich sind wir nicht im Waffengeschäft'. 'Wir glauben doch' widersprach ein Marketingmann 'Solche Dinge lassen sich durchaus verkaufen. - werbestrategisch gesehen. Stellen sie sich mal vor: Ziel AG - der Wohltäter. Wenn sich diese Meinung bei unseren Kunden erst mal festgesetzt hat, dann können sie hemmungslos konsumieren, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn ZIEL Gutes tut, dann haben unsere Kunden teil an der guten Tat, wenn sie bei uns kaufen'. 'nehmen wir mal an, dieser Mann gewinnt' entgegnete Herr Gustav 'Meinen sie denn, er ist wirklich bereit, auf seinen Gewinn zu verzichten? Niemand verzichtet freiwillig auf 500.000 Euro. Wenn er erfährt, dass er gewonnen hat, wird er seinen Gewinn auch haben wollen. Und schon ist ihre Idee vom guten Wohltäter zunichte gemacht'. 'Aber nein. Er wird bei seinen Wünschen bleiben und wir werden das Geld für diese Zwecke ausgeben, ganz so, wie er es auf den Wunschzettel geschrieben hat. Er wird es sich nicht anders überlegen. Nicht, wenn wir ihn darauf hinweisen dass wir seine menschenfreundlichen Wünsche und einen eventuell anschließenden Rückzieher publik machen. Denn im einen Fall ist er der Mitwohltäter, im andern Fall würde er sich selbst zum Buhmann machen.' Herr Gustav blickte mit seinem Pionier-blick in die Runde, schaute dann die Marketingleute direkt an und sagte feierlich: 'Hervorragende Idee. Der Gewinner steht fest. Kommen sie morgen um 10 Uhr in mein Büro. Dann werden wir das weitere Vorgehen besprechen.
Die Besprechung am nächsten Tag verlief kurz. Man beschloss folgendes:
Herr K würde telefonisch über seinen Gewinn benachrichtigt werden. Dann sollten ihn die Marketingleute besuchen. Natürlich in Begleitung von Fotografen und Reportern.
Die einzige Schwierigkeit bei solchen Unternehmungen ist, darauf zu achten, dass die Gewinner sich vor den Presseleuten so verhalten, wie man es ihnen vorher beigebracht hatte. Bisher waren diese immer äußerst kooperativ. Schließlich wollten sie ihren Gewinn ja auch erhalten. Bei Herrn K allerdings hatten die Marketingleute zum ersten mal Bedenken. Wer solche Wünsche äußert, dem ist auch zuzutrauen, das er ihnen die Show vermasselt. Doch diese Bedenken sollten sich schnell zerstreuen. Herr K war von Anfang an gänzlich unkooperativ. Schon am Telefon bestand er darauf, dass sein Name nicht öffentlich erwähnt wird. Und Fotos von ihm gäbs schon gar nicht. 'Ihre Papparazzies können sich den Weg sparen' sagt er der Dame am Telefon, die fast in Ohnmacht fiel. Schließlich hatte sie jemanden erwartet, der sich über einen so hohen Gewinn freut. Und nun redete sie mit einem alten Griesgram der offenbar nicht mehr alle Groschen in der Tasche hatte. Doch den Marketingleuten kam dies grade recht. Nun hatten sie freie Hand bei der Vermarktung des Gewinns. Herr K wurde aus allem herausgehalten. Die Medien wurden darüber unterrichtet was der Gewinner - ein guter Mensch, der nicht genannt werden möchte, verfügt hatte. Dann wurden Fotos und Berichte veröffentlicht, was mit dem Gewinn geschehen war. Die Marketingleute hatten sich verschiedene humanitäre Projekte von 'Terre de homme' angesehen und sich drei ausgesucht, die sie für ihre Zwecke am geeignetsten hielten. Auf diese drei wurde die Gewinnsumme verteilt.
Herr K verfolgte mit Interesse die Berichte in den Zeitungen. Darin war zu lesen, dass die Ziel AG mehrere wohltätige Projekte unterstütze. Insgesamt 500.000 Euro habe sie dafür zur Verfügung gestellt. Nur in einem einzigen Satz wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Geld um den Gewinn eines Herrn handele, der nicht genannt werden möchte. Herr K las dies und war glücklich. Zwar fand er es überhaupt nicht schön, dass die Ziel AG sich selbst als den großen Wohltäter pries, aber was solls. Wichtig war schließlich das Ergebnis. Und das hieß, dass nun viele Straßenkinder in Thailand so etwas ähnliches wie ein Zuhause bekamen und eine Schule besuchen konnten. Dass mehr Kinder bei ihren Familien bleiben konnten und nicht an Fabrik- und Bordellbesitzer verkauft werden, weil der Rest der Familie das Geld zum Überleben braucht. Und das freute Herrn K sehr. Mit einem zufriedenen Lächeln legte er die Zeitung beiseite. 'Das ist das Ziel, das ich auf Erden erreichen wollte' dachte er und war sehr zufrieden mit sich.
Am nächsten Morgen hörte er beim Bäcker einige Leute reden. Über diesen Irren, der 500.000 Euro gewonnen, und das ganze Geld verschenkt habe. Herr K musste spontan lachen. Die Umstehenden dachten, er lache über diesen Irren. Aber er lachte über sie, über die Anwesenden, er lachte über die ganze Welt, über die Menschheit die immer noch nichts begriffen hatte und auch wohl nie begreifen wird. Er ging aus der Bäckerei, sah zum Himmel empor und betrachtete eine Wolke. In seiner Fantasie verformte sich diese Wolke zu einem Gesicht und Herr K erkannte seine Frau Anni, die ihm zulächelte. 'Ja mein Engel' sprach er zu ihr 'ich habe diese Welt erlebt. Und ich habe ein Geheimnis. Aber das nehme ich mit ins Grab'.

Kondolenz

Der kleine Engel, der nicht singen wollte

22.12.2014 um 23:54 Uhr von Der kleine Engel, der nicht singen wollte

Der Engel der nicht singen wollte

von Werner Reiser

Als die Menge der himmlischen Heerscharen über den Feldern von Betlehem jubelte: 'Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden', hörte ein kleiner Engel plötzlich zu singen auf. Obwohl er im unendlichen Chor nur eine kleine Stimme war, machte sich sein Schweigen doch bemerkbar. Engel singen in geschlossenen Reihen, da fällt jede Lücke sogleich auf. Die Sänger neben ihm stutzten und setzten ebenfalls aus. Das Schweigen pflanzte sich rasch fort und hätte beinahe den ganzen Chor ins Wanken gebracht, wenn nicht einige unbeirrbare Großengel mit kräftigem Anschwellen der Stimmen den Zusammenbruch des Gesanges verhindert hätten. Einer von ihnen ging dem gefährlichen Schweigen nach. Mit bewährtem Kopfnicken ordnete er das weitere Singen in der Umgebung und wandte sich dem kleinen Engel zu.

Warum willst du nicht singen?' fragte er ihn streng. Er antwortete: 'Ich wollte ja singen. Ich habe meinen Part gesungen bis zum 'Ehre sei Gott in der Höhe'. Aber als dann das mit dem 'Frieden auf Erden unter den Menschen' kam, konnte ich nicht mehr weiter mitsingen. Auf einmal sah ich die vielen Soldaten in diesem Land und in allen Ländern. Immer und überall verbreiten sie Krieg und Schrecken, bringen Junge und Alte um und nennen das Frieden.

Und auch wo nicht Soldaten sind, lassen Eltern ihre Kinder verhungern oder schlagen sie tot. Es herrscht Überheblichkeit und Verachtung, Neid und Missgunst, Streit und Gewalt. Es fliegen Fäuste und böse Worte zwischen den Menschen. Es regiert die Bitterkeit gegen Andersdenkende.

Es ist nicht wahr, daß auf Erden Friede unter den Menschen ist, und ich singe nicht gegen meine Überzeugung! Ich merke doch den Unterschied zwischen dem, was wir singen, und dem, was auf Erden ist. Er ist für mein Empfinden zu groß, und ich halte diese Spannung nicht länger aus.'

Der große Engel schaute ihn lange schweigend an. Er sah wie abwesend aus. Es war, als ob er auf eine höhere Weisung lauschen würde. Dann nickte er und begann zu reden: 'Gut. Du leidest am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde, zwischen der Höhe und der Tiefe. So wisse denn, daß in dieser Nacht eben dieser Zwiespalt überbrückt wurde. Dieses Kind, das geboren wurde und um dessen Zukunft du dir Sorgen machst, soll unseren Frieden in die Welt bringen. Gott gibt in dieser Nacht seinen Frieden allen und will auch den Streit der Menschen gegen ihn beenden. Deshalb singen wir, auch wenn die Menschen dieses Geheimnis mit all seinen Auswirkungen noch nicht hören und verstehen. Wir übertönen mit unserem Gesang nicht den Zwiespalt, wie du meinst. Wir singen das neue Lied.' Der kleine Engel rief: 'Wenn es so ist, singe ich gerne weiter.'

Der Große schüttelte den Kopf und sprach: 'Du wirst nicht mitsingen. Du wirst einen anderen Dienst übernehmen. Du wirst nicht mit uns in die Höhe zurückkehren. Du wirst von heute an den Frieden Gottes und dieses Kindes zu den Menschen tragen. Tag und Nacht wirst du unterwegs sein. Du sollst an ihre Häuser pochen und ihnen die Sehnsucht nach ihm in die Herzen legen. Du mußt bei ihren trotzigen und langwierigen Verhandlungen dabeisein und mitten ins Gewirr der Meinungen und Drohungen deinen Gedanken fallen lassen. Du mußt ihre heuchlerischen Worte aufdecken und die anderen gegen die falschen Töne mißtrauisch machen. Sie werden dir die Türe weisen, aber du wirst auf den Schwellen sitzen bleiben und hartnäckig warten. Du mußt die Unschuldigen unter deine Flügel nehmen und ihr Geschrei an uns weiterleiten. Du wirst nichts zu singen haben, du wirst viel zu weinen und zu klagen haben. Du hast es so gewollt. Du liebst die Wahrheit mehr als das Gotteslob. Dieses Merkmal deines Wesens wird nun zu deinem Auftrag. Und nun geh. Unser Gesang wird dich begleiten, damit du nie vergissest, daß der Friede in dieser Nacht zur Welt gekommen ist.'

Der kleine Engel war unter diesen Worten zuerst noch kleiner, dann aber größer und größer geworden, ohne daß er es selber merkte. Er setzte seinen Fuß auf die Felder von Betlehem. Er wanderte mit den Hirten zu dem Kind in der Krippe und öffnete ihnen die Herzen, daß sie verstanden, was sie sahen. Dann ging er in die weite Welt und begann zu wirken. Angefochten und immer neu verwundet, tut er seither seinen Dienst und sorgt dafür, daß die Sehnsucht nach dem Frieden nie mehr verschwindet, sondern wächst, Menschen beunruhigt und dazu antreibt, Frieden zu suchen und zu schaffen. Wer sich ihm öffnet und ihm hilft, hört plötzlich wie von ferne einen Gesang, der ihn ermutigt, das Werk des Friedens unter den Menschen weiterzuführen.

 



Kondolenz

Die Apfelsine des Waisenknaben - (ausgesucht von Sophie)

19.12.2014 um 20:39 Uhr von Charles Dickens

Die Apfelsine des Waisenknaben

von Charles Dickens (7.2.1812 - 9.6.1870 )
eingesandt von Christina Oberfeld

Schon als kleiner Junge hatte ich meine Eltern verloren und kam in ein Waisenhaus in der nähe von London. Es war mehr als ein Gefängnis. Wir mussten 14 Stunden täglich arbeiten- im Garten, in der Küche, im Stall, auf dem Felde. Kein Tag brachte eine Abwechslung, und im ganzen Jahr gab es für uns nur einen einzigen Ruhetag. Das war der Weihnachtstag. Dann bekam jeder Junge eine Apfelsine zum Christfest. Das war alles, keine Süßigkeiten, kein Spielzeug. Aber auch diese eine Apfelsine bekam nur derjenige , der sich im Laufe des Jahres nichts hatte zu schulden kommen lassen und immer folgsam war. Die Apfelsine an Weihnachten verkörperte die Sehnsucht eines ganzen Jahres.
So war wieder einmal das Christfest herangekommen. Aber es bedeutete für mein Knabenherz fast das Ende der Welt. Während die anderen Jungen am Waisenvater vorbeischritten und jeder seine Apfelsine in Empfang nahm, musste ich in einer Zimmerecke stehen und zusehen. Das war meine Strafe dafür, dass ich eines Tages im Sommer hatte aus dem Waisenhaus weglaufen wollen. Als die Geschenkverteilung vorüber war, durften die anderen Knaben im Hofe spielen. Ich aber musste in den Schlafraum gehen und dort den ganzen Tag über im Bett liegen bleiben. Ich war tieftraurig und beschämt. Ich weinte und wollte nicht länger leben.
Nach einer weile hörte ich Schritte und im Zimmer. Eine Hand zog die Bettdecke weg, unter der ich mich verkochen hatte. Ich blickte auf. Ein kleiner Junge namens William stand vor meinem Bett, hatte eine Apfelsine in der rechten Hand und hielt sie mir entgegen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wo sollte eine überzählige Apfelsine hergekommen sein? Ich sah abwechselnd auf William und auf die Frucht und fühlte dumpf in mir, dass es mit der Apfelsine eine besondere Bewandtnis haben müsse. Auf einmal kam mir zu Bewusstsein, dass die Apfelsine bereits geschält war, und als ich näher hinblickte, wurde mir alles klar, und Tränen kamen in meine Augen, und als ich die Hand ausstreckte, um die Frucht entgegenzunehmen, da wusste ich, dass ich fest zupacken musste, damit sie nicht auseinander fiel.
Was war geschehen? Zehn Knaben hatten sich im Hof zusammengetan und beschlossen, dass auch ich zu Weihnachten meine Apfelsine haben müsse. So hatte jeder die seine geschält und eine Scheibe abgetrennt, und die zehn abgetrennten Scheiben hatten sie sorgfältig zu einer neuen, schönen runden Apfelsine zusammengesetzt. Diese Apfelsine war das schönste Weihnachtsgeschenk in meinen Leben.
Sie lehrte mich, wie trostvoll echte Kameradschaft sein kann.

Kondolenz

Der Kleine Schutzengel

18.12.2014 um 16:27 Uhr von Der Kleine Schutzengel

Der kleine Schutzengel
von Sieglinde Breitschwerdt


Sehnsüchtig sah Emanuel zu, wie wieder viele Engel die Himmelsleiter hinabstiegen. Sie beeilten sich, wollten rechtzeitig an Ort und Stelle sein, um die Neugeborenen zu beschützen.
'Ach, was würde ich dafür geben, wenn ich auch ein Schutzengel sein dürfte', seufzte er. 'Aber ich habe ja noch nicht einmal Flügel!'
'Emanuel, komm zu mir!' rief Erzengel Gabriel. Er nahm den Kleinen an die Hand und führte ihn zur himmlischen Kleiderkammer. Weiße Gewänder, Flügelpaare und Heiligenscheine wurden dort aufbewahrt.
Gabriel suchte für ihn ein passendes Gewand, Flügelchen und einen Heiligenschein aus. Er half ihm beim Anziehen, steckte die Flügelchen fest und sagte:
'So mein Kleiner, jetzt bist du ein Schutzengel!'
Emanuel hüpfte vor lauter Freude im Kreis und fragte aufgeregt: 'Wohin schickst du mich?'
Gabriel zeigte in die Ferne. Am Himmel leuchtete ein wunderschöner Stern mit einem langen silbernen Schweif: 'Folge immer diesem Stern, solange, bis er stehen bleibt. Dort wird heute Nacht ein neuer, großer König geboren! Er wird für alle Menschen der König des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung sein!'
Ein König, dachte Emanuel und ihm wurde ganz bange: 'Braucht ein großer König nicht auch einen großen Schutzengel?'
Der Erzengel lächelte und drückte ihm sanft den Heiligenschein aufs Haupt: 'Nein, nein! Ein kleiner König und ein kleiner Engel passen gut zusammen!'
Wenig später kletterte Emanuel die Himmelsleiter hinab und folgte immer dem großen Stern.
Ich werde auf meinen König gut aufpassen, dachte er. Wehe, wenn ihm einer etwas tut, dann verhau' ich ... Erschrocken hielt er inne. Ein richtiger Engel durfte so etwas nicht einmal denken.
Hin und wieder schaute er zum Himmel. Er bemerkte, daß der Stern allmählich langsamer wurde. Erstaunt blickte er sich um. Nirgends sah er einen Palast, oder wenigstens ein großes vornehmes Haus?
Er kam durch ein kleines Dorf. Die meisten Häuser waren alt und verfallen, in denen nur arme Leute wohnten.
Neben einem Gasthof stand ein Stall; über ihm blieb der Stern stehen.
Geduldig wartete er darauf, daß der Stern weiterwandern würde. Aber nichts geschah.
Oh mein Gott, durchfuhr es ihn, ich bin dem falschen Stern gefolgt! Vielleicht habe ich mich verlaufen? Ratlos setzte er sich nieder.
Da fiel ihm der kleine König ein, den er beschützen sollte.
Emanuel war so traurig, dass er bitterlich weinte.
Plötzlich fühlte er etwas Weiches an seinem Knie. Ein Schaf rieb sein Köpfchen daran. 'Warum bist du so traurig, kleiner Engel?' fragte es.
'Ich habe mich verlaufen!' schluchzte er.
'Verlaufen?' blökte das Schaf verwundert.
Er nickte.
'Irgendwo wird ein neuer König geboren, und nun hat er keinen Schutzengel, weil ich den Palast nicht finden kann!'
Emanuel nahm den Zipfel seines Gewands und schneuzte sich.
'Im Stall wird auch ein Kind geboren! Aber das sind sehr arme Leute!' mähte das Schaf. 'Sie kamen mit einem Esel aus einer fernen Stadt!'
Emanuel sah sich um. Er entdeckte auch keinen anderen Engel.
Er streichelte dem Schaf über das Köpfchen und murmelte: 'Das arme Kind. Kein Schutzengelchen weit und breit!'
'Dann beschütze doch du das Kind!' schlug das Schaf vor. 'Arme Leute haben es nicht leicht im Leben!'
Er nickte. Das Schaf hatte recht. Der kleine Engel stand auf und ging in den Stall. Ein Ochse und ein Esel lagen im Stroh.
Ein älterer Mann stand neben seiner junge Frau, die ihr Kind in die Krippe legte. Emanuel trat näher und sah sich das Neugeborene genauer an. Es war ein hübscher kleiner Junge.
Plötzlich hörte er Räderknirschen, Hufgetrampel und Gewieher; dem folgten Fanfarenstöße und Herolde riefen: 'Macht Platz für die Könige!'
Prunkvoll geschmückte Pferde und Kamele hielten vor dem Stall.
Drei Könige in kostbare Gewänder gehüllt, mit goldenen Kronen auf ihren Häuptern, betraten den ärmlichen Raum. Sie beglückwünschten die Eltern zur Geburt ihres Kindes und überreichten Gold, Weihrauch und Myrrhe. Es waren Geschenke für das Neugeborene.
Sie knieten vor der Krippe nieder und jeder König küßte dem kleinen Jungen das Händchen.
Wenig später kamen Hirten. Als sie das Kind in der Krippe sahen, gaben sie ihm alles, was sie hatten: Brot und Käse, Früchte und Wein, dann knieten auch sie nieder.
Ehrfurchtsvoll und staunend hatte Emanuel alles beobachtet.
Sein kleiner Schützling musste schon etwas Besonderes sein, wenn Könige wie Hirten gleichermaßen vor ihm niederknieten.
Er beugte sich etwas vor - und das Kind lächelte ihn an.
Ich habe mich doch nicht verlaufen, dachte der kleine Schutzengel überglücklich. Ich bin auch nicht dem falschen Stern gefolgt. Er ist der neue große König, der König des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, und ich... ich ... ich darf ihn beschützen!

 



Kondolenz

Weihnachtsgeschichte

18.12.2014 um 16:26 Uhr von Der zerbrochene Krug

Der zerbrochene Krug‏

Ein indischer Wasserträger besaß zwei große Krüge, die mit einem Holzjoch verbunden auf seinen Schultern ruhten. Einer dieser Krüge hatte einen Sprung. Während der eine Krug das Quellwasser bis zum letzten Tropfen hielt, solange bis der Wasserträger am Hause seines Herrn eingetroffen war, verlor der geborstene Krug auf dem Weg beinahe die Hälfte seines kostbaren Inhalts.

Das ging zwei Jahre so; jeden Tag lieferte der Wasserträger nach jedem seiner Gänge einen ganzen und einen halben Krug Wasser.
Der heile Krug war natürlich sehr stolz auf sich, weil er seine Aufgabe immer fehlerlos ausführte.
Der Krug mit dem Sprung dagegen schämte sich seiner Unvollkommenheit und war traurig, weil er immer nur die Hälfte von dem zustande brachte, was er eigentlich sollte.

 

Nach zwei Jahren, die für ihn ein stetes Versagen waren, wandte sich der geborstene Krug eines Tages an den Wasserträger, als dieser ihn an der Quelle füllte:
'Ich fühle mich schuldig und bitte dich, mir zu verzeihen.'
'Warum?' fragte der Wasserträger. 'Warum schämst du dich?'
'Ich bringe immer nur die Hälfte meiner Portion Wasser heim, und das schon seit zwei Jahren. Schuld daran ist der Sprung, durch den das Wasser wegsickert. Wegen meiner Schuld musst du dich so anstrengen und lieferst am Ende unserem Herrn nur die Hälfte des Wassers. Dadurch kommst du nicht in den vollständigen Genuss deiner Bemühungen.'

Der Wasserträger war von diesem Geständnis tief berührt und antwortete voll Mitgefühl:
'Wenn wir jetzt zum Haus unseres Herrn zurückkehren, möchte ich, dass du auf all die herrlichen Blumen Acht gibst, die am Wegesrand blühen.' 

Während sie die Hügel entlang heimgingen, erblickte der alte Krug viele schöne Blumen am Wegesrand, die ihre Köpfe im Sonnenlicht wiegten. Das war Balsam auf seiner Seele. Aber am Ende des Weges war er wieder so traurig wie immer, denn er hatte wieder die Hälfte seines Wassers verloren.

Doch der Wasserträger sagte zu dem Krug:
'Hast du bemerkt, dass es nur auf deiner Seite des Weges diese schönen Blumen gab und auf der Seite des heilen Kruges so gut wie keine? Ich wusste nämlich immer schon, dass du Wasser verlierst und habe Nutzen daraus gezogen. Ich habe Blumensamen auf deine Wegseite gesät und du hast sie tagtäglich begossen, wenn wir dort entlanggingen. Zwei Jahre lang konnte ich deshalb die schönsten Blumen ernten und damit den Tisch unseres Herrn schmücken. Ohne dich hätte ich niemals so frische und anmutige Blumen gefunden.'

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